LAUT GEDACHT
Über Brieffreundschaften
August 18, 2020
by Nike Lorenz

Im Laufe der letzten Jahre haben sich in meinem Lebens mehrere Brieffreundschaften entwickelt. Eine geht in die USA, eine nach London und eine nach Berlin. Ich hab überall auf der Welt Menschen, die mir unheimlich viel bedeuten und mit denen ich sehr gerne immer an einem Ort wäre. Doch entweder man lernt sich im Ausland kennen oder man wird langsam erwachsen und sucht sich seinen Platz in der Welt: Wege trennen sich. Heutzutage ist es leicht miteinander in Kontakt zu bleiben, man kann Nachrichten an die ganze Welt schicken. Und doch erwischt man sich doch immer wieder, wie die Nachrichten ungelesen (markiert) und unbeantwortet bleiben. Die Inhalte ziehen sich wie Kaugummi, Smalltalk übers Handy beschreibt häufig ein ganz neues Level an Anstrengung, wirklich physische Anstrengung. Nun sitzt man da, scrollt hoch und runter, will auf alles von der letzten Nachricht eingehen und dann auch noch etwas Neues erzählen. Irgendwann findet die Unterhaltung ein Ende, es war schön sich mal wieder auf das Laufende gebracht zu haben, aber eine gewisse Erleichterung ist zu spüren.


Ich kenne das. Briefe sind das komplette Gegenteil.

Die Verzögerung der Zustellung, vor allem wenn es Übersee geht, erspart einem jeglichen Smalltalk, all diese schnelllebigen Antworten auf die meist oberflächlich gestellten Wie-gehts-dir-Fragen. Die sind dann nämlich eh nicht mehr aktuell, wenn der Brief ankommt. Das Medium fordert einen indirekt heraus, eine Ebene tiefer zu gehen: was beschäftigt mich gerade langfristig? Was ist mir so wichtig, dass ich es hier auf diesem Papier platzieren möchte, sodass es um die Welt reisen kann?

Manche Briefe sind Erzählungen über Träume und Ziele, über Sachen, die einen traurig oder glücklich machen. Nicht jedoch die alltäglichen Themen: bis mein Brief in London angekommen ist, hätte meine Brieffreundin längst Google können, wie sich Deutschland mit dem Corona Virus schlägt. Bis der Brief aus den USA ankommt, hat Trump schon wieder den nächsten Blödsinn abgezogen.

Dadurch dass der wilde Trubel des Alltags übersprungen werden darf, ist mehr Zeit und Platz für Dich und deine Welt, für dein Gegenüber und all die Dinge, die man sonst ja doch niemandem erzählt. Hier ist Platz für die ausgefallenen Sorgen, abgehobenen Träume und lustigen Geschichten.

Hinzukommen noch zwei weitere Aspekte, die Brieffreundschaften einfach aufregend machen. Erstens, wann bekommt man heute noch Post, die man wirklich haben will? Nie (Außer du hast ein Zeitungs-Abo…).

Zweitens, Postkarten, Briefmarken und die eigene Handschrift verdienen deutlich mehr Aufmerksamkeit.


Klingt das gut?

Dann kann ich Dir wirklich nur empfehlen, Dich noch heute hin zu setzen und einen Brief an irgendwen zu schreiben. Vielleicht schreibst Du auch eine fremde Adresse auf den Umschlag oder du beginnst mit einem Gefängnis-Insassen zu schreiben. Hauptsache Du Schreibst.

P.S.: Danke an all meine liebsten Brieffreunde, ihr macht so viel Spaß.